Unter „bewegtem Lernen“ wird das Lernen mit Musik und Bewegung als Unterrichtsprinzip in Deutsch und Mathematik verstanden.

Eine Grundvoraussetzung für das Lernen ist die Wahrnehmung des eigenen Körpers, ihn kennen zu lernen und angemessen einzusetzen. Nur in Verbindung von Bewegungsimpulsen und Sinneswahrnehmungen können sich Lernprozesse organisieren und effektiv gespeichert werden.

Die Einbeziehung aller Sinne und die Förderung der Wahrnehmung können nur handlungsorientiert geschehen. Für die Praxis bedeutet dies, dass in der Schule die basismotorischen Fähigkeiten sowie die Wahrnehmung ganzheitlich gefördert werden müssen, um kindliche Selbstbildungsprozesse zu begleiten. Ein bewegungsorientiertes Konzept bietet gleichzeitig viele Kompensationsmöglichkeiten für Kinder mit Symptomen von Hyperaktivität und Unaufmerksamkeit. Sie sind dadurch ausgeglichener und zeigen erheblich bessere Leistungen.

Viele gesellschaftliche Veränderungen bewirken eine Bewegungs- und Erfahrungsarmut, die speziell Auswirkungen auf die motorischen Fähigkeiten hat und ein ganzheitliches, bewegungsorientiertes Unterrichtskonzept erfordert, um die Kinder wieder in Balance zu bringen.

Mit der Bewegung öffnet sich das Tor zum Lernen.

Lernen mit Musik und Bewegung im Mathematikunterricht

Mathematik ist die Lehre von den Mustern und Strukturen. Eine nahe Verwandtschaft zur Musik und zur Bewegung liegt schon allein deswegen klar auf der Hand. Musik und Bewegung leben von Mustern und Strukturen und helfen, diese zu erkennen, zu übernehmen und schließlich auch zu analysieren.

Im Anfangsunterricht ist es inzwischen üblich, über das Handeln zur Abstraktion zu gelangen, doch für den Aufbau innerer Bilder und Handlungsabläufe ist das Lernen mit Bewegung für die gesamte Grundschulzeit von großer Bedeutung. Über den Bewegungssinn können die Schüler vielfältige zusätzliche Informationen zum Lerngegenstand erarbeiten, etwa beim Erwerb von Vorstellungen für Zahlen, Größen und Funktionen, beim Empfinden geometrischer Inhalte und Sachverhalte über Körperbewegungen, beim Formen, Gestalten und Verändern von Dingen (Zahlen kneten, Kantenmodelle, Maßstabszeichnungen…).

Musik fördert das Erfassen geometrischer Phänomene (Lieder über Quadrate haben zum Beispiel ganz andere Strukturen als Lieder über Kreise), das Abspeichern mathematischer Phänomene (z.B. Lieder über gerade und ungerade Zahlen, zum Einmaleins oder zu den verschiedenen Größen) und nicht zuletzt das wiederholende Üben (durch das Hören und Singen von entsprechenden Liedern prägen sich viele Regeln und Gesetzmäßigkeiten „von allein“ ein). Außerdem wird das Erkennen der „Alltagstauglichkeit“ von Mathematik unterstützt (Abzählverse, auf die Umgebung bezogene Lieder, mathematische Phänomene im Alltag). Die Kombination von Lerngegenstand, Musik und Bewegung ermöglicht vielen Lerntypen einen Zugang zu einer Mathematik, mit der sie die Welt entdecken und verstehen können.

Lernen mit Musik und Bewegung im Deutschunterricht

Sprache und Musik sind Ausdrucksmittel. Beide bedienen sich der Akustik und der Symbolik und werden bis zu einem bestimmten Punkt im Gehirn auch gleich verarbeitet. Musik weckt und fördert in hohem Maße die sprachliche Intelligenz. Es ist wichtig, dass sich Lehrkräfte den engen Zusammenhang zwischen Sprache, Musik und Bewegung und die Transfereffekte in vielfältiger Weise zunutze machen, z.B. durch

  • metrisch-rhythmische Übungen (Schwungübungen mit Musik, Silbenschwünge, Sprachübungen im Rhythmus, Fingerspiele, grammatikalische Übungen mit wiederkehrenden Metren, Training von Körperrhythmus, z. B. auf dem Trampolin),
  • Hörschulung (Schulung der phonologischen und prosodischen Bewusstheit im weiteren und im engeren Sinne),
  • vielfältiges Material zum Singen, Tanzen oder Bewegen für den fächerverbindenden Unterricht,
  • Förderung auditiver Basisfunktionen durch Klang- und Bewegungsgeschichten.

Sprache wird im frühen Kindesalter eher als eine Art Musik verarbeitet. Säuglinge verstehen Sprache noch nicht in einem semantischen Sinn, sondern sie beachten die musikalischen Parameter wie Rhythmus, Betonung etc. Ähnlich ist der Vorgang beim Erlernen einer (neuen) Sprache, nicht umsonst spricht man von der ‚Sprachmelodie‘ der jeweiligen Sprache. Durch das Lernen mit Musik und Bewegung lassen sich der Sprachaufbau und die richtige Sprachmelodie viel einfacher lernen und prägen sich nachhaltig ein. So kann zum Beispiel ein Hüpfkästchen zu den verschiedenen Zeitformen die Bildung der Formen vielseitig im Gehirn „verorten“ (richtige Aussprache, richtige Schreibweise, Springen in das richtige Kästchen). Musik und Bewegung unterstützen das Lernen in allen Bereichen des Deutschunterrichts, nicht nur bei der Erarbeitung der Buchstaben, sondern in der gesamten Grundschulzeit.

Schwungübungen

Lesen, Schreiben und Rechnen erfordern ein hohes Maß an sensorischer Integration und stellen sehr komplexe Anforderungen an das Gehirn dar. Defizite in der Feinmotorik, Kraftdosierung und Lateralität machen den Umgang mit dem Stift beim Schreiben mühsam, der „Pinzettengriff“ wird von immer weniger Kindern, die in die erste Klasse kommen, beherrscht. Es lohnt sich, dem Kind Zeit und Muße zu lassen, um zu einer guten Schreibtechnik zu gelangen, etwa durch Schwungübungen. Die Verknüpfung von Musik, Bewegung und rhythmischem Sprechen führt dazu, dass die Kinder Gelegenheit bekommen, für Körper und Psyche wichtige Grundbewegungen einzuüben, die später zu einer ausbalancierten, verbundenen Handschrift führen.

Die Schwungübungen haben zum einen die Funktion, auf den richtigen Bewegungsablauf beim Schreiben von Buchstaben und Zahlen vorzubereiten. Zum anderen bekommen Kinder mit motorischen Schwierigkeiten durch diese Übungen Gelegenheit, Entwicklungsdefizite aufzuholen und eine breitere Basis für ihre Gesamtentwicklung zu schaffen. Eine Vernetzung der Gehirnhälften durch die Überkreuzbewegung bewirkt zudem eine nachhaltige Speicherung von Informationen und Erfahrungen. Daher sind Schwungübungen nicht nur im Anfangsunterricht, sondern auch auf verschiedenen Ebenen während der gesamten Schulzeit empfehlenswert.

Lernen an Stationen

Stationsarbeit ist eine Möglichkeit des individualisierten, bewegungsorientierten Unterrichts. Durch den Einsatz vielfältiger Stationen zu einem bestimmten Lerninhalt werden die verschiedenen Lerntypen angesprochen und der Lernerfolg wird entsprechend intensiv und nachhaltig. Gleichzeitig können durch die verschiedenen Bewegungsabläufe Verknüpfungen im Gehirn nachgeholt bzw. ausgeweitet werden. Nach einer Einführung im Klassenverband können die Stationen in Einzel- oder in Partnerarbeit durchlaufen werden. Die Partnerarbeit ist in den meisten Fällen besonders effektiv, da der sprachliche Austausch zwischen den Schülern die Lerninhalte vertieft und zudem die sozialen Kompetenzen gestärkt werden.

Einige Elemente der bewegungsorientierten Stationen können zu verschiedenen Lerninhalten immer wieder anders eingesetzt werden, wobei den Schüler und Schülern die Regeln im Umgang mit der Station geläufig sind. So eignet sich das Trampolin zum Beispiel zur Erarbeitung von Zahlen und Buchstaben ebenso wie zum Buchstabieren schwieriger Lernwörter und zum Kopfrechnen, aber auch zur Bearbeitung adverbialer Bestimmungen und der Stellenwerte im Millionenbereich.

Nach der Einführung können sich die Schüler mithilfe der Stationenkarten schnell orientieren und auch den Auf- und Abbau der Stationen selbstständig durchführen. Übungen im Schriftspracherwerb und der Mathematik auf dem Rollbrett mit gleichzeitiger Förderung der Halte-, Stell- und Gleichgewichtsreaktionen.

Literatur

Ayres, A. J.: Bausteine der kindlichen Entwicklung. Springer, Berlin 2002

Bastian, H. G.: Langzeitstudie an Berliner Grundschulen. Schott, Mainz 2000

Beigel, Dorothea: Beweg dich, Schule! Dortmund 2012

Gardner, H.: Abschied vom IQ – Die Rahmentheorie der vielfachen Intelligenz. Klett, Stuttgart 1991

Gardner, H.: Frames of Mind: The Theory of Multiple Intelligences. BasicBooks, New York 1983

Gardner, H.: Multiple Intelligences: The Theory Into Practice. Basic Books, New York 1993

Giger, P.: Die Kunst des Rhythmus. Professionelles Know-how in Theorie und Praxis. Schott, Mainz 1993

Hannaford, C.: Bewegung – das Tor zum Lernen. VAK, Kirchzarten bei Freiburg 2004

Kiphard, E. / Leger, A.: Psychomotorische Elementarerziehung. Flöttmann, Gütersloh 1986, 3. Aufl.

Kreusch-Jacob, D.: Jedes Kind braucht Musik. Kösel, München 2006

Moog, H.: Transfereffekte der Musik bei Lern-, Sprach- und Körperbehinderten. In: Musik und Bildung 1985 (Heft 17), S. 172 – 176

Spitzer, M.: Lernen. Spektrum, Heidelberg 2007a

Spitzer, M.: Musik im Kopf. Schattauer, Stuttgart 2007b

Struck, P.: Die 15 Gebote des Lernens. Primus, Darmstadt 2008

Struck, P./ Würtl, I.: Lehrer der Zukunft. Primus, Darmstadt 2007

Zimmer, R.: Handbuch der Sinneswahrnehmung. Herder, Freiburg 1999

Zimmer, R: Handbuch Sprachförderung durch Bewegung. Freiburg, 2010

Zitzlsperger, H.: Vom Gehirn zur Schrift. Schneider, Hohengehren 2002